Verfasst von: Dr. Who | 30.7.12

407 | Medwedjew im Interview: „Gott sei dank sind wir kein Euroland“

von Swetlana Andrejewa | Stimme Russlands

Russlands und Großbritanniens Positionen zu Syrien unterscheiden sich nicht so krass voneinander, wie man glaubt. Das sagte der russische Regierungschef Dmitri Medwedjew im einem Interview mit der britischen „Times“. Er äußerte sich ausführlich zu Moskaus Innen- und vor allem Außenpolitik.

Medwedjew sagte, während des jüngsten Empfangs im Buckingham Palace habe er mit dem britischen Premier David Cameron gesprochen. Viele Themen seien erörtert worden. Russland und Großbritannien seien während ihrer Geschichte sowohl Rivalen als auch Partner gewesen:

„Trotz kurzfristiger Komplikationen sind wir deshalb zur Kooperation in verschiedensten Bereichen verurteilt. Uns beunruhigt die Situation am globalen Finanzmarkt und in der Eurozone. Gottseidank gehören weder Russland noch Großbritannien zum Euroraum. Andererseits haben wir einen kolossalen Handelsumsatz, wobei Großbritannien ein EU-Land ist. Vor diesen Hintergrund sind wir ständig in Kontakt“.

Moskau und London hätten Differenzen in Bezug auf die Syrien-Krise, obwohl diese Differenzen nicht so riesig seien, wie es manchem Beobachter erscheine, so Medwedjew weiter:

„Die Situation ist zwar sehr schwierig, ich denke aber, dass sich Kofi Annans Plan noch nicht erschöpft hat. Denn das ist ein politischer Friedensplan. Die Positionen Russlands und Großbritanniens bzw. Russlands und der USA unterscheiden sich in Wirklichkeit nicht so stark voneinander, wie man glaubt. Wir gehen davon aus, dass ein Bürgerkrieg das schlimmste Szenario für Syrien wäre. Sehr viele Menschen sind dort ums Leben gekommen – wie immer bei solchen Konflikten. Schuld daran sind die beiden Konfliktparteien, die einander nicht hören und sich nicht an den Verhandlungstisch setzen wollen. Vor mehr als einem Jahr habe ich Präsident Baschar Assad gesagt, dass er Reformen einleiten und einen Schlüssel für seine Beziehungen mit der Opposition finden muss, selbst wenn das sehr schwierig ist. Aus meiner Sicht ist das Potential von Annans Plan nicht erschöpft. Wir müssen kooperieren und Konsultationen zum Thema fortsetzen“.

Medwedjew äußerte sich zum so genannten Reset, dem versuchten Neustart der Beziehungen zwischen Moskau und Washington. Auf diesem Weg seien Fortschritte erzielt worden:

„Viele nützliche Sachen sind zustande gekommen, darunter der neue Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen. Der Reset-Vorgang bestimmte die Gestalt unserer Beziehungen für die nächsten Jahre, obwohl wir beispielsweise in Sachen Raketenabwehr unterschiedliche Vorstellungen haben. Wir haben viele Konsultationen zu internationalen Fragen durchgeführt. Das war die erste US-Regierung, die Russland beim WTO-Beitritt geholfen hat. Ich werde Barack Obama immer dankbar sein für seine ehrliche Position. Wir saßen damals im Auto, sprachen ohne Dolmetscher und er sagte mir: ‚Ich werde Dir beim WTO-Beitritt helfen‘. Und das hat er getan. So etwas vergisst man nicht“.

Im Streit um die US-Raketenabwehr sollte man sich laut Medwedjew zunächst damit klarkommen, gegen wen sich dieses Projekt richtet:

„Wenn sich der Raketenschild gegen Länder richtet, die ungenehmigte Atomprogramme umsetzen und an neuen Raketen basteln, haben wir dafür Verständnis. Klären Sie uns mal aber darüber auf, warum die Abfangraketen dieses Raketenschildes in der Lage sind, Ziele in Russland zu treffen? Sie sind also in der Lage, unser Raketen-Potential zu beeinflussen. Und wenn sich das Projekt gegen uns richtet, sollte man das offen sagen. Das würde aber einen Verstoß gegen die derzeitige Atomparität zwischen Russland und den USA bedeuten – und diese Parität spielt seit dem Zweiten Krieg eine maßgebliche Rolle in Sachen Sicherheit. So ist es. Auf diese Frage konnten wir bisher keine Antwort bekommen. Also: Die Nato sollte erstens klarkommen, was sie eigentlich vom bestehenden Vier-Phasen-Plan zum Raketenabwehr-Aufbau braucht. Und zweitens: Welche Rolle soll Russland spielen?“

In Bezug auf Russlands Innenpolitik wies Medwedjew die Kritik am neuen Gesetz zurück, das politisch aktive Non-Profit-Organisationen mit Finanzierungsquellen im Ausland als „ausländische Agenten“ einstuft:

„Von seinem Inhalt her entspricht dieses Gesetz einer ganzen Reihe von Gesetzen, die es im Ausland gibt. Ein solches Gesetz gibt es auch in den USA. Die Einstufung als „ausländischer Agent“ bedeutet keinen Vorwurf. Keineswegs! Damit wird lediglich festgestellt, dass eine Organisation Geld aus dem Ausland bekommt. Kein Land der Welt reagiert darauf gelassen. Wenn jemand für seine politischen Aktivitäten ausländisches Geld erhält, hat jeder Staat Fragen.“

Die letzte Frage an Medwedejw betraf seine politische Zukunft. Die britischen Journalisten wollten wissen, ob er irgendwann wieder für das Präsidentenamt kandidieren will. Der Regierungschef antwortete, er sei kein betagter Politiker und schließe nichts aus.

http://german.ruvr.ru/2012_07_30/83312469/


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