Verfasst von: Dr. Who | 9.8.11

123 | EURO – alles Zufall?

von Eva Herman

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache. Dieser journalistische Grundsatz, einst geprägt von Tagesthemen-Bollwerk Hanns Joachim Friedrichs, könnte dessen Nachfolger Ulrich Wickert nun gehörig ins Genick schlagen. Denn der hat sich 2001, also vor genau zehn Jahren, gebührlich mit einer Sache gemein gemacht, die er persönlich damals augenscheinlich als gut empfand, wovor jedoch auch schon Anfang 2000 etliche Experten und Beobachter gewarnt hatten: die Einführung des Euro.

Dieser befindet sich aktuell im dramatischen Sinkflug, in einer Art letztem Zersetzungsprozess:  Die anfängliche Euro-Euphorie ist längst einer gefährlichen Euro-Agonie gewichen. Aus dem Euro für ganz Europa ist eine Eurovernichtungsmaschine für ganz Europa geworden, die Billionen verschlingt und derzeit nahezu die ganze Welt lahmgelegt hat. Börsen- und Bankencrashs, immer mehr Staatspleiten in Europa, eine gescheiterte Eurozone, all das hat den Globus in Angst und Schrecken versetzt: Internationale Weltuntergangsstimmung macht sich mit der jetzt einbrechenden Wirtschaft breit, die vom Panikvirus angesteckt wurde!

Wie war das damals, vor zehn Jahren, mit dem Kollegen Wickert und der jungen, hoffnungsfrohen neuen Währung? In Fernsehspots, in Zeitungen und auf Plakaten warb der politische Journalist Ulrich Wickert zur Euro-Einführung mit zuversichtlicher Miene, ein anderes Mal biss er bestimmt in eine Euromünze, um so die künftige »harte Währung« zu signalisieren.

Doch Millionen Menschen im Land bekamen immer heftigere Bauchschmerzen: Sie wollten ihre stabile Deutsche Mark behalten. Wickert, neben Sabine Christiansen, Günther Jauch, Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker das ausersehene Haupttestimonial, schob die Bedenken jedoch beiseite. In der Werbung, aber auch in zahlreichen Interviews hob er unablässig die vermeintlichen Vorteile des Euro hervor: wie großartig es sei, vor dem Urlaub kein Geld mehr umtauschen zu müssen, wie immens der wirtschaftliche Nutzen des Euro wäre (dieser Punkt wurde allerdings zu kaum einem Zeitpunkt hinreichend von dem TV-Journalisten erläutert oder vertieft) und dass es nur segensreich sein könnte , dass »wir« den Gründungsmythos DM endlich aufgegeben hätten.

Nein, spätestens an diesem Punkt konnte ein großer Teil des deutschen Volkes Herrn Wickert — bei aller Sympathie — nicht mehr folgen. Das belegt auch eine Untersuchung der Universität Hamburg über »Einfluss und Wirkung der Euro-Werbung auf den Betrachter«: Von acht Probanden kannten sechs die Anzeigen zum Euro mit Wickert, auf die Frage, was ihnen bei der Anzeige durch den Kopf geht, stimmten die Befragten in einigen Punkten überein, wie etwa bei der Erwähnung von Seriosität, Intelligenz, Sympathie und bei der Assoziation »Tagesthemen«. Doch nützte das offenbar nicht viel. In der Untersuchung heißt es daher:

Zum Begriff EURO fielen allen Interviewten fast nur negative Punkte ein: Skepsis, Unsicherheit, Preiserhöhung, Schummel bei der Erfüllung der Kriterien der Währungseinheit. Auf die Frage, was sie von der Währungsumstellung halten, antworteten sie ebenso negativ und wiederholten sich in ihren Aussagen.

Bei aller Sympathie zu Tagesthemen-Profi Wickert ging der geplante Coup also schon damals nach hinten los: Das Volk merkte, dass etwas faul an der Sache war.

Die zahlreichen Pro-Euro-Finanzpolitiker schien das jedoch von ihren Plänen nicht abzuhalten. Sie hatten eine passende öffentliche Person gesucht und den Hauptgewinn gefunden: Wickert wirkte sympathisch, und er diente als eine Art Brücke zwischen Politik und Bürgern, zwischen oben und unten, zwischen Frankreich und Deutschland. Denn es war natürlich kein Pappenstiel, was man den Menschen im Land unterjubeln wollte: Die deutsche Wirtschaft lief damals trotz der jungen Wiedervereinigungsgeschichte relativ gut, die stabile Deutsche Mark hatte es möglich gemacht, und diese war weltweit anerkannt. Die D-Mark war praktisch zum Sehnsuchtsziel zahlreicher Länder weltweit geworden, was Stabilität, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit anging. Diese Deutsche Mark sollte mit dem Euro jedoch ausradiert werden, sang- und klanglos und für alle Zeiten. Zweifel an diesem Plan waren mehr als angebracht.

Wickert hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst als Tagesthemen-Moderator und als netter, witziger Wetteronkel etabliert. Er hatte schlaue Bücher geschrieben über Moral und Anstand, und über die Krux des Lebens, dass all jene Menschen, die trotz materieller Verführungen echt und ehrlich bleiben wollen, am Ende immer die Dummen sind. Wahre Worte. Auf über 270 Seiten hatte Wickert über den Werteverlust moralphilosophiert: Nun ließ er als bundesdeutscher Euro-Anchorman selbst gnadenlos den größten materiellen Wert Deutschlands, die D-Mark, einfach wegrasieren!

Ja, Ulrich Wickert war damals, vor zehn Jahren, genau der richtige Superpromi für den Euro. Er war Kosmopolit, kannte sich im Ausland bestens aus, hatte die verschiedensten Mentalitäten der Länder kennengelernt, deren Währungen und Landsleute. Hatte er doch auch als ARD-Korrespondent jahrelang aus Washington, vor allem jedoch aus dem Euro-Initiator-Land Frankreich berichtet.

Der geneigte Bürger erfuhr zu diesem Zeitpunkt plötzlich ausschweifend viel über Wickerts internationale Vita: Der kleine Ulrich wurde im fernen Tokio geboren, dessen Vater Erwin, ein angesehener Diplomat, war dort lange als Rundfunkattaché der Deutschen Botschaft tätig. Wickert konnte ferner nachweisen, bereits als Schüler in Paris gelebt zu haben, wo die Familie einige Jahre aufgrund der Verpflichtung des Vaters  bei der Deutschen NATO-Vertretung zubrachte. In den sechziger Jahren studierte Ulrich Wickert im damals noch politischen Bonn Politikwissenschaft und Jura, als Stipendiat verbrachte er mehrere Jahre im amerikanischen  Connecticut. Ende der sechziger Jahre begann er seine journalistische Aufgabe dann beim WDR in Köln. Ein Bilderbuchpromi für die Euro-Einführung.

Dienstwillig machte Wickert mit. Man kann nur darüber spekulieren, warum ihm dabei keine ethischen und moralischen Bedenken kamen. Entweder er glaubte wirklich an den Erfolg des Euro, ohne die politischen Ränkespiele hinter der folgenschweren Entscheidung zu erkennen, was jedoch kaum vorstellbar ist. Denn dann müsste man ihm schlicht Naivität vorwerfen. Vielleicht war jedoch auch sein Arbeitgeber, der öffentlich-rechtliche und politisch immer korrekte Norddeutsche Rundfunk, Schuld an seinem Jawort, weil der Sender ebenso ergeben mitmachte und seinen festangestellten Mitarbeiter für die umfassende Werbekampagne auslieh, was eigentlich laut Rundfunkstaatsvertrag verboten war.

Aus heutiger Sicht fragt man sich sowieso, wie das alles möglich sein konnte, was da in der großen Euro-Euphorie geschah? Abgesehen davon, dass nahezu alle Medien eurokonform berichteten und Eurokritiker der ersten Stunde nicht selten diffamierten und zum Schweigen brachten, stellt sich grundsätzlich die Frage: Musste ein von Gebühren bezahlter ARD-Sender mit derartig eindeutigen politischen Entscheidungen nicht viel kritischer umgehen? Durfte der NDR wirklich sein bestes Pferd im Stall für eine solch alles umfassende und lebensverändernde europäische Wirtschafts-und Währungsaktion hergeben? Oder deckte der noch mächtigere Westdeutsche Rundfunk, wo Wickert sich einst seine ersten journalistischen Sporen verdiente und zu dem der Journalist lange Jahre auch als Frankreich-Korrespondent gezählt hatte, die Pläne mit? Oder steckte der WDR gar hinter dem Werbedeal?

Überhaupt: In Frankreich war sie ja einst entstanden, diese Euro-Idee: 1988 erarbeitete ein Ausschuss den sogenannten »Delors-Bericht« zur Gründung der Währung, benannt nach dem damaligen französischen EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, der in drei Schritten schließlich zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion führte. Das von CDU-Kanzler Helmut Kohl geführte Deutschland sträubte sich zunächst: Im Zuge der angestrebten Wiedervereinigung von Ost und West wusste man damals in Bonn, was dem Land  damit bevorstand. Doch Frankreich blieb hart: Staatspräsident François Mitterand soll seine Unterstützung zur Wiedervereinigung von der Euro-Einführung abhängig gemacht haben. Beobachter werden nicht müde, zu wiederholen, dass Deutschland nach der Wiedervereinigung an alter Stärke gewonnen hatte, an der nicht nur in Europa wohl kaum jemand interessiert war. Durch den Entzug der starken Deutschen Mark konnte dieses nicht ungefährliche Problem schnell gelöst werden. Und Ulrich Wickert mittendrin!

Man kann nur spekulieren, wie groß die Kreise sich zogen bei dem damaligen Beschluss, Wickert vor den Karren zu spannen. Der fließend französisch sprechende frankophile Wickert war die europäische Brücke zwischen Deutschland und Frankreich. Die Öffentlichkeit erfuhr wie zufällig nebenher, wie gut Wickert sich in der Provence auskannte, in französischen Käsesorten und Rotweinen, nein: Niemand konnte ihm da noch etwas vormachen.

Seine Rolle als seriöser Tagesthemen-Moderator half natürlich ebenso weiter: Fast wie die Verlautbarung der Bundesregierung mutet es bis heute an, wenn abends die Tagesschau-und Tagesthemen-Fanfaren erklingen und die Nachrichten des Tages vorgetragen werden. Erst in neuester Zeit wachsen Unbehagen und Zweifel an Auswahl und redaktioneller Einschätzung der Meldungen bei den Bürgern. Doch damals erhielt die Werbung zur Einführung des Euro damit noch einen zusätzlichen hochoffiziellen Stempel. Einer wie der Tagesthemen-Wickert, der konnte sich doch nicht irren! Oder?

Egal, wie man die Münze nun auch dreht und wendet: Der Katastrophenfall des Euro ist eingetreten. Was nun? Werden wir hilflos zuschauen müssen, wie alles den Bach runtergeht? Es sieht ganz danach aus. Nur zwei Wochen nach Verabschiedung des EFSF-Rettungsfonds mahnte EU-Kommissionspräsident Barroso letzte Woche, man müsse über eine weitere Aufstockung nachdenken…

Verzweiflung? Ratlosigkeit und Schwäche der EU-und-Finanzpolitiker? Ja, genau so sieht es heute aus. Der ehemalige Euro-Luxusliner ist zu einem führerlosen Rostdampfer geworden, einzelne Mannschaftsmitglieder verlassen bereits das sinkende Schiff.

Jedem Leser sei an dieser Stelle ein legendäres Interview zwischen Ulrich Wickert und dem Euro-Skeptiker der ersten Stunde, Staatsrechtslehrer Prof. Karl Albrecht Schachtschneider, vor zehn Jahren hier auf Welt-online empfohlen. Überschrift: Warum glauben Sie an den Euro, Herr Wickert? Der Journalist  warb zu der Zeit bereits für die Einheitswährung. Schachtschneider, der heute vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Stabilitätspakt klagt, hielt ihm in dem Gespräch entgegen, der Euro gefährde die Stabilität Deutschlands. Der Staatslehrer warnte unter anderem, die Wirtschaftspolitik werde uns durch den Euro aus der Hand genommen. Wickert antwortete wörtlich: »Nein, die Steuerpolitik können wir bestimmen, und wir können genauso gut auch die Lohnpolitik bestimmen.«

Ja klar, Uli, die Renten sind auch sicher, oder wie ging diese Geschichte nochmal? Diese dramatische Beurteilung sollte nur eine von unzähligen Fehleinschätzungen des Kollegen Wickert in Sachen Euro sein.

Ach, ja, im September erscheint übrigens Wickerts neues Buch. Der Titel: Redet Geld, schweigt die Welt. Der Verlag Hoffmann und Campe schreibt in der Vorankündigung zum Inhalt:

Ist es bloße Gier, die Menschen dazu bringt, zu lügen, zu betrügen und irrezuführen? Kam es deshalb zur größten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg? Werden Banker zu Recht als Gauner verurteilt? Ulrich Wickert nennt die Schuldigen beim Namen und fordert, endlich Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.

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